Ich war lange Zeit keine regelmäßige Nachrichtenleserin. Es waren immer nur einzelne Themen, die mich dann interessiert haben und zu denen ich mich informiert habe. Es war eigentlich erst kurz bevor ich angefangen habe, mich mit Julian Assange zu beschäftigen, dass ich regelmäßig durchgeschaut habe, was es so Neues gibt im Weltgeschehen.
Ich habe dazu die Leitmedien genutzt. Den Spiegel, die Welt, die Zeit, die taz und die Tagesschau im Wesentlichen. Ich habe in der Schule gelernt, die freie Presse sei eines der wichtigsten Elemente einer Demokratie und einer freien, fortschrittlichen und offenen Gesellschaft, mit der eine Demokratie auch immer einhergeht. Man bezeichnet die freie, demokratische Presse ja auch immer als die 4. Gewalt des Staates.
Ich habe Kommunikationswissenschaften studiert und habe dort so einiges darüber gelernt, wie Medien Menschen subtil beeinflussen und manipulieren können, mit Framing zum Beispiel und mit der Auswahl, was einen Nachrichtenwert hat und was nicht. Aber naiver Weise bin ich davon ausgegangen, dass die „seriöse“ Presse sowas meidet. Und dass Journalisten ebendieser Presse Wert darauf legen, ihren Lesern korrekte und vollständige Informationen zu liefern. Heute wage ich das stark zu bezweifeln.
Oberflächlichkeit in der Berichterstattung über Julian Assange
Im Zusammenhang mit dem Fall Assange ist mir zum ersten Mal wirklich bewusst geworden, wie oberflächlich die Leitmedien sein können, und wie manipulativ diese Oberflächlichkeit auch sein kann. Die wirklich brisanten Infos zum Fall habe ich nicht aus den Leitmedien, sondern aus „Primärquellen“, wie etwa den Videos von Dustin Hoffmann oder dem Buch von Nils Melzer, oder aus den alternativen Medien.
Der britisch-syrische Journalist Richard Medhurst, der für seine politischen Analysen im Videoformat bekannt ist, machte mal deutlich, warum die Leitmedien-Journalisten keine zuverlässige Informationsquelle sind, wenn es um den Fall Assange geht:
„Don’t listen to the mainstream media in this case. For two reasons: First, because they’re propagandists und they don’t like Assange. They’re jealous on his work. They refuse to even call him a journalist, they always say he’s the ‘WikiLeaks-founder’. This guy has done more journalism than all of you combined. And second, they’re not even there! I am in the court, Mary is in the court. Stefania Maurizi ist in the court. Tareq Haddad is in the court, Muhammed Mazi* is in the court, Kevin Gosztola is in the court. Katie and Joey from Consortium News are in the court. Sky News or BBC are NOT in the court. So based on what are they talking about this case? These guys come on TV and they start talking about Julian Assange. On what bases are you speaking about this case? You were not in the court! You don’t know anything! It’s so ridiculous.“
Übersetzung: “Hört, was diesen Fall angeht, nicht auf die Leitmedien. Und zwar aus zwei Gründen: Erstens, weil sie Propagandisten sind und Assange nicht mögen. Sie sind neidisch auf seine Arbeit. Sie weigern sich sogar, ihn einen Journalisten zu nennen, sie sprechen immer vom ‚WikiLeaks-Gründer‘. Der Mann hat mehr Journalismus betrieben als ihr alle zusammen. Und zweitens: Sie sind nicht einmal da! Ich bin im Gericht, Mary ist im Gericht, Stefania Maurizi ist im Gericht, Tareq Haddad ist im Gericht, Muhammed Mazi* ist im Gericht, Kevin Gosztola ist im Gericht. Katie und Joey von Consortium News sind im Gericht. Sky News oder BBC sind nicht im Gericht! Auf welcher Grundlage sprechen sie also über diesen Fall? Diese Typen stellen sich im Fernsehen hin und fangen an, über Julian Assange zu reden. Basierend worauf sprecht ihr über diesen Fall? Ihr wart im Gericht nicht dabei! Ihr wisst überhaupt nichts! Das ist so lächerlich.“
*Das ist der Name, den ich raushöre, aber ich kenne so einen Journalisten nicht und habe auch über Suchmaschinen nichts gefunden. Ich nehme gerne Hinweise darüber an, ob ich den Namen falsch verstanden habe oder wo ich herausfinden kann, wer dieser Muhammed Mazi ist.
Dies sagt Richard in diesem Video ab Minute 50:30.
Und ja, ich kann mich da inzwischen Richards Vorwürfen anschließen. Mir ist schnell aufgefallen, dass viel Relevantes einfach weggelassen wird, wahrscheinlich nicht einmal aus böser Absicht, sondern aus Unwissenheit. Ich hatte irgendwann das Gefühl, dass ich viel mehr weiß in der Causa Assange als unsere bekannten, gut bezahlten Leitmedienjournalisten, und das nur, weil ich jeden Abend die Videos von Dustin Hoffmann geguckt und später Nils Melzers Buch gelesen habe.
Warum waren sie eigentlich nicht da als Prozessbeobachter? Der Prozess war wichtig und irgendwelche Zeit- und Spiegel-Redakteure hätten doch sicherlich Zugang zu ihm bekommen, ebenso wie die britischen Leitmedienjournalisten von Sky News oder BBC, die Richard anspricht.
Und wenn sie schon nicht da waren, warum haben sie sich nicht wenigstens mit Dustin Hoffmann oder anderen Prozessbeobachtern unterhalten, um sich informieren zu lassen?
Relevante und irrelevante Tote
Ok, bei einem Leitmedium zu arbeiten heißt also nicht gleich, gut informiert zu sein, das habe ich in den vergangenen Jahren gelernt. Oft reicht es einfach, dpa-Meldungen zu übernehmen und schon ist die Berichterstattung fertig.
Wenn man sich also wirklich tiefgreifend für ein Thema interessiert, vor allem für eines, das in der westlichen Welt als nicht ganz so angenehm gilt, sind die Leitmedien als Informationsquelle nahezu wertlos. Aber man lernt, andere Quellen zu finden, und plötzlich sieht man die Medienberichterstattung der Leitmedien mit anderen Augen, weil man Infos hat, die sie nicht berichten. Oder erst viel später.
Ein Beispiel möchte ich erzählen, das ich auch einer Freundin von mir erzählt habe. Sie hatte mich mit einem etwas verunsicherten Blick angesehen, als ich im Gespräch die Behauptung aufgestellt habe, man könne den Leitmedien nicht mehr wirklich vertrauen. Ihr Blick sagte ungefähr sowas wie: „Oh nein – ist die jetzt unter die Schwurbler gegangen?“ und sie hat mir eine Frage gestellt: „Denkst du denn, dass die Tagesschau lügt?“
Und ich habe gesagt: „Nein, so würde ich das nicht sagen. Aber sie sagt oft eben auch nur die halbe Wahrheit.“
Als Beispiel verwende ich gerne die Berichterstattung über den IS-Terroranschlag in Kabul, als sich die NATO aus Afghanistan zurückzog. Das, was in dem verlinkten Bericht steht, würde ich mal als nüchterne Fakten beschreiben. Und ein paar Tage später brachte die Tagesschau in einem Videobeitrag in der Sendung um 20:00 Uhr einen kurzen Beitrag darüber, wie die erwähnten amerikanischen Soldaten, die ums Leben gekommen waren, in schwarzen Särgen in den USA ankamen und aus dem Flugzeug getragen wurden. Joe Biden und seine Frau standen da und haben sich vor den Toten ehrfürchtig verneigt. Große Bilder, die an mir auch nicht spurlos vorbei gegangen sind. Ich bin ein empathischer Mensch und hatte Tränen in den Augen, weil mir die 13 verlorenen Leben leidtaten.
Was die Tagesschau in diesem Fernsehbeitrag nicht erwähnte, in Onlineberichten aber in oberflächlicher Weise schon, war, dass das amerikanische Militär als Reaktion auf den IS-Terroranschlag einen Vergeltungsanschlag vollzogen hatte. Zu dieser Zeit hatte ich schon in kleineren, alternativen englischsprachigen Medien gelesen, dass dabei 10 Zivilisten, darunter sieben Kinder, ums Leben gekommen waren. Diese Seite kann ich jetzt über die Suchmaschinen leider nicht mehr finden, aber diese alternativen Medien behielten ja recht, denn einige Zeit später räumte das Pentagon dann ein, dass wirklich afghanische Zivilisten anstelle von IS-Terroristen getötet worden sind, und dann berichteten die Tagesschau und auch andere Medien auch wieder darüber. Zuvor wurde die eventuelle Tötung von Zivilisten nur als wage Vermutung aus afghanischer Quelle kurz am Rande erwähnt, und ehrlich: Da soll doch der Nachrichtenleser denken: „Ach ja, das ist unwahrscheinlich. Sind ja nur afghanische Quellen, kann man die überhaupt ernst nehmen…“
Das hinterlässt bei mir einen faden Beigeschmack. Über die toten Afghanen berichtet man erst, und das auch relativ nüchtern, als es nicht mehr zu leugnen ist und das Pentagon es selbst zugegeben hat. Was ist, wenn es diesen „Fehler“ nicht zugegeben hätte? Hätte die Presse dann auch nichts darüber geschrieben? Der Empfang der toten amerikanischen Soldaten aber wird mit Kameramännern begleitet, man soll als Zuschauer ergriffen und traurig sein.
(Nur so am Rande: Die amerikanischen Soldaten, die für den Gegenanschlag verantwortlich sind, sind natürlich entlastet worden. So ein kleiner Fehler kann doch jedem mal passieren, oder? Irren ist schließlich menschlich. Ist doch nicht schlimm, die 10 Afghanen. Gibt doch Millionen von denen…).
Es lohnt sich, die Leitmedienarbeit zu hinterfragen und alternativen Medien eine Chance zu geben
Über die Leitmedienlandschaft könnte ich so viel schreiben, das wäre eine eigene Artikelreihe. Aber ich möchte hier schon fast zum Punkt kommen, nur noch ein paar kleine Anmerkungen:
- Professor Michael Meyen vom Institut für Kommunikationswissenschaften in München schreibt in seinem Buch „Die Propaganda-Matrix“, der Journalismus sei nach langem Siechtum nun tot. Und: „Schon vorher war die ‚vierte Gewalt‘ schwer krank, hing arbeitsunfähig und durchseucht von Politik am Tropf der Industrie.“
Ich kann dieses Buch empfehlen, auch wenn es und der Professor selbst in den Leitmedien zuletzt scharf kritisiert worden sind. Klar hören es die Journalisten nicht gern, dass sie ihre Arbeit falsch machen. Aber ich finde es wirklich wichtig und aufschlussreich, was Prof. Meyen schreibt, und da ich selbst Kommunikationswissenschaften in München studiert und meine Bachelorarbeit bei eben diesem Professor geschrieben und ihn als integren Kommunikationswissenschaftler kennengerlernt habe, vertraue ich ihm und seinen Erkenntnissen. (Eine Stellungnahme des Professors zum BR- Artikel gibt es übrigens auch.) - Ich lese und höre die Leitmedien immer noch, aber genieße das, was berichtet wird, mit sehr viel mehr Vorsicht und Distanz als früher.
- Die alternativen Medien, die einen Gegenpol darstellen, habe ich früher gemieden, weil Plattformen wie Wikipedia oder auch die Leitmedien selbst sie in die verschwörungstheoretische und rechte Ecke schieben. Inzwischen habe ich keine Berührungsängste mehr. Nicht alle alternativen Medienformate gefallen mir gut, aber inzwischen bin ich mir sicher, dass sie zwar teilweise eine bestimmte Ideologie oder Gesinnung vertreten – aber erstens besser als ihr Ruf und zweitens nicht schlechter als die Leitmedien sind. Die vertreten auch zu oft eine Gesinnung und opfern dafür wichtige Journalismus-Elemente wie Sachlichkeit, Recherche und Genauigkeit.
- Die NachDenkSeiten und das Multipolar Magazin sind meine neuen Hauptquellen geworden, wenn ich mich über das Weltgeschehen informieren möchte. Ich kann beide nur empfehlen, auch wenn die NachDenkSeiten, besonders der Herausgeber Albrecht Müller, manchmal etwas aggressiv auftreten. An Sascha Lobo vom Spiegel reicht aber selbst der emotionalste und aggressivste Artikel der NachDenkSeiten nicht heran.
- Der Multipolar Magazin-Redakteur Stefan Korinth erklärt die mangelhafte Arbeit vieler Leitmedienredakteure in seinem Artikel „Der Gleichklang und das Narrativ – Wie Medien Auslandskonflikte strukturieren. Das Beispiel Maidan“ so: „in den Redaktionen der großen etablierten Medien dominiert eine pro-westliche Weltanschauung, von der viele Redakteure ehrlich überzeugt sind. Diese Weltanschauung leitet sich aus der Zugehörigkeit des eigenen Landes zu wirtschaftlichen und militärischen Bündnissystemen sowie aus kultureller Nähe zu Bündnispartnern und etwaigen Konfliktakteuren ab, hat also auch etwas mit der Sozialisation der Journalisten zu tun. Dementsprechend ist die Konfliktdarstellung in den hiesigen Medien in der Regel monoperspektivisch und der Sichtweise der eigenen Regierung angenähert.“
- Ich denke, dass er da sehr recht hat und ich mag seine nüchterne, nicht-feindselige Beurteilung. Wenn man sich auch mal anschaut, wie viele deutsche Leitmedienredakteure teilweise in den USA studiert haben und irgendwelchen transatlantischen Organisationen und Vereinen angehören, ist zum Beispiel eine proamerikanische Haltung gar kein Wunder.
Teil 8: Julian Assange und das Elend der Welt. Möchte ich das alles überhaupt wissen?
Teil 7: Die Medien werden lauter – lohnt es sich, doch wieder Hoffnung zu haben?
Teil 5: Warum tun die Journalisten das? Wie Nils Melzer den Fall Assange an die große Glocke hängte und selbst zum Opfer medialer Diffamierung wurde
Teil 3: Leon Panetta lacht über Menschenrechte
Teil 2: Assange ist ein Folteropfer – Erkenntnisse eines UN-Sonderberichterstatters
Wissen oder Nichtwissen? Wie der Fall Julian Assange mein Weltbild verschlechtert hat Teil 1