Das Gericht hatte die Auslieferung Julian Assanges genehmigt und zuletzt die Entscheidungsgewalt der britischen Innenministerin Priti Patel zugewiesen. Die konservative Politikerin hat die Auslieferung dann am 17. Juni 2022 angeordnet – wie nicht anders zu erwarten war.
Mehr mediale Unterstützung für Julian Assange
Seit dieser Anordnung ist die Unterstützung für Julian Assange nochmal größer und lauter geworden. Sogar die Leitmedien haben deutliche Worte gefunden, viele Redakteure kritisieren in Meinungsartikeln offen das Schweigen der deutschen Spitzenpolitik und auch das politische Verhalten in den USA und in Großbritannien. Und auch in den sachlich-neutralen Berichten, die ja natürlich ohne Meinung bleiben sollen, kommen nun Worte, die lange umschifft worden sind, wie Kriegsverbrechen, Hochsicherheitsgefängnis und Isolationshaft.
„Kriegsverbrechen“ waren in der Assange-Berichterstattung jahrelang „US-Militäreinsätze“ und Assange war einfach nur „inhaftiert“. Jahrelang war das Narrativ des „einerseits – andererseits“ weit verbreitet („Julian Assange hat wichtige Informationen ans Licht gebracht, aber…“), aber inzwischen sieht man das kaum noch – außer in der Argumentation der Bundesregierung.
Es fragt auch niemand mehr, ob Julian Assange „Held oder Verräter“ sei. Plötzlich ist Julian investigativer Journalist und kaum jemand scheint das noch medial in Frage zu stellen. Jahrelang konnte man lesen, dass seine Unterstützer einen investigativen Journalisten in ihm sehen. Dass er auch neutral betrachtet einer ist, oder zumindest im Zusammenhang mit der US-Anklage wie einer gehandelt hat, davon war häufig nicht die Rede und für mich hat es sich so angefühlt, als seien alle diese Beispiele kein Zufall, sondern bewusst gewählte Wortwahl, um sich eben nicht gegen das amerikanische Narrativ zu stellen.
Besonders gut hat mir ein Artikel von Christine Leitner im Stern gefallen. Die Redakteurin schrieb Worte, die ich sonst eher von der alternativen, eher links gerichteten Presse gewohnt war. Und selbst der Spiegel, sonst mein bestes Negativbeispiel im Umgang der deutschen Leitmedien mit dem Fall Assange, brachte einen Artikel heraus, der die erwähnten unangenehmen Worte offen heraus schrieb. Nicht als Einschätzung oder Meinung von irgendwem, sondern einfach nur als journalistische Beschreibung der Situation.
Noch kurz vor Patels Auslieferungsanordnung hatte auch Christoph Sieber im WDR einen Beitrag machen dürfen, der den Fall Assange nicht mehr verharmlost und beschönigt, ebenso wie Christian Ehring in der Sendung extra3. Mitten im WDR spricht mir Christoph Sieber am Ende seines Beitrag sowas von aus der Seele.
Es gibt auch noch Ausnahmen…
Es gibt zwar noch Meinungsartikel wie den von Michael Hanfeld in der FAZ, aber sie sind inzwischen eine Ausnahme. Der Redakteur, der definitiv nicht den Prozess 2020 verfolgt zu haben scheint, schwingt noch immer die Trump-Keule (Trump mochte mal Assange, also ist Assange scheiße), sagt genau das Gegenteil von dem, was John Goetz vor Gericht aussagte (Assange hat wahllos Daten ins Internet gekippt, während die Redaktionen erst prüfen und dann veröffentlichen wollten. Zu den Aussagen des Journalisten John Goetz im Assange-Prozess siehe Teil 4 dieser Artikelreihe) und stellt Dinge als Tatsachen dar, die auf sehr dünnem Eis stehende Gerüchte sind (Die 2016 im Wahlkampf gehackten E-Mails von Hillary Clinton stammen aus russischen Quellen. Der Skandal rund um diese Behauptung wird in den USA als „Russia Gate“ bezeichnet). Außerdem verlangt er von WikiLeaks Unmögliches („Wer auf geheimes Material über Kriegsverbrechen der russischen Armee in der Ukraine hofft, braucht auch nicht auf Wikileaks zu setzen.“ – Wie auch? Julian Assange hat nicht einmal Internet, und sein Chefredakteur Kristinn Hrafnsson ist damit beschäftigt, sich für Assanges Freiheit einzusetzen. WikiLeaks ist mit Assanges Inhaftierung praktisch handlungsunfähig gemacht worden.)
Kleine Ergänzung zum Thema Russia Gate: Der New Yorker Journalist Aaron Maté erklärt in diesem Video, was es mit Russia Gate auf sich hat und dass es für eine russische Beteiligung am US-Wahlkampf 2016 bis heute keine Beweise gibt.
Assange hat inzwischen sehr viele berühmte Unterstützer
Kurz nachdem ich begonnen hatte, mich für Julian Assange zu interessieren, hatte Sigmar Gabriel zusammen mit Günter Wallraff einen Artikel über ihn verfasst. Er hieß „Der Aufklärer Assange als Unperson“ und war im Tagesspiegel erschienen. Da musste ich erstmal genauer hinschauen: Sigmar Gabriel? Echt jetzt? Aber ja, es war tatsächlich DER Gabriel, der ehemalige Vize-Kanzler und Minister mehrerer Ressorts.
Damals schien es mir, als sei der Name Assange einer, den man besser nicht in den Mund nimmt. Zu heikel, das Thema. Gut, bei Günter Wallraff war ich nicht überrascht, und ein paar Leute hatte es damals schon gegeben, die sich die ganze Zeit über für Julian Assange eingesetzt hatten, wie die Linken-Politikerin Sevim Dagdelen, die US-Schauspielerin Pamela Anderson oder der ehemalige Pink Floyd Musiker Roger Waters. Aber solche deutlichen Worte von einem ehemaligen hohen Politiker Deutschlands zu lesen, war erstaunlich.
Aber nach und nach – meiner Meinung nach immer noch vor allem deswegen, weil UN-Mann Nils Melzer den Fall so bekannt gemacht und dabei so deutlich Klartext gesprochen hatte – sprachen sich immer mehr Menschen für die Freilassung Assanges aus und stellten sich auf seine Seite. Die einen ergriffen in Texten oder Diskussionsrunden für ihn Partei, die anderen nur in Form einer Mitunterzeichnung bei offenen Briefen. Einige von ihnen sind heute, wie im vorigen Teil bereits erwähnt, heute sogar Mitglieder des Scholz-Kabinetts.
Julian Assange ist inzwischen Ehrenmitglied im deutschen PEN-Zentrum, erhielt 2021 den Dr. Karl Renner Solidaritätspreis vom Österreichischen Journalistenclub und 2022 den Günter Wallraff Preis. Seit Priti Patels Anordnung zu Auslieferung gibt es sogar einen Eilappell der Bewegung Campact, von der ich mir schon länger einen Einsatz für Assange gewünscht hätte.
Die Solidaritätsbekundungen, Ernennungen und Preisverleihungen ereigneten sich parallel zu den Rückschlägen vor Gericht, an denen ja auch die Enthüllungen über gefälschte Zeugenaussagen und CIA-Mordpläne nichts änderten. Sie waren eine kleine Genugtuung, aber generell hatte ich nicht das Gefühl, dass sie irgendetwas an Julians Schicksal ändern könnten. Aber jetzt, wo auch viele Leitmedienredakteure zumindest ansatzweise das Verhalten zeigen, welches sie seit Jahren hätten zeigen sollten, macht die positive Entwicklung der letzten Jahre doch ein wenig Hoffnung. So resigniert wie Anfang des Jahres fühle ich mich nicht mehr, ein bisschen Hoffnung ist, Stand Juli 2022, zurückkehrt…zumal ganz aktuell (06. Juli 2022) der Bundestag zum ersten Mal den Umgang mit Assange als psychologische Folter anerkannt, indem er eine entsprechende Petition angenommen hatte und der Präsident Mexicos mächtig gegen die USA poltert (die Lage der Pressefreiheit in Mexico ist dann aber wohl ein Thema für sich…!)
Teil 3: Leon Panetta lacht über Menschenrechte
Teil 2: Assange ist ein Folteropfer – Erkenntnisse eines UN-Sonderberichterstatters
Teil 1: Wissen oder Nichtwissen? Wie der Fall Julian Assange mein Weltbild verschlechtert hat