Dustin Hoffmann ist in Sachen Assange meine Hauptquelle. Durch seine Prozessberichte weiß ich so viel über den Fall und noch so vieles mehr. Doch seine Videos kennt kaum jemand, die Klicks liegen meist zwischen 1.000 und 2.000. Der bereits erwähnte UN-Sonderberichterstatter für Folter Nils Melzer hingegen hat den Fall Assange und all das Unrecht, das damit zusammenhängt, sehr bekannt gemacht.
Mit seiner Öffentlichkeitsarbeit und seinem Buch gelingt es Melzer, den Fall Assange an die große Glocke zu hängen
Dass das Auswärtige Amt Nils Melzers Berichte aus dem Jahr 2019 später noch gelesen hat (s. Teil 3), möchte ich stark anzweifeln. Aber Nils Melzer war in den Jahren 2020 und vor allem 2021 unglaublich erfolgreich damit, seine Erkenntnisse und Befürchtungen im Fall Assange in die Öffentlichkeit zu tragen, und irgendwann kamen selbst die Leitmedien nicht umher, ihn zu zitieren, über ihn zu schreiben und ihn zu Interviews einzuladen. Spätestens, als er im April 2021 das Buch „Der Fall Julian Assange. Geschichte einer Verfolgung“ im Piper Verlag veröffentlichte.
Die Leitmedien titelten unter anderem:
- Gegen alle Widerstände – wie sich der Schweizer Nils Melzer für Julian Assange einsetzt (Neue Zürcher Zeitung (NZZ), 02.07.2021)
- UN-Sonderberichterstatter zum Fall Assange „Man hat mir die Zusammenarbeit systematisch verweigert“ (Deutschlandfunk (Dlf), 21.04.2021)
- Fall Julian Assange: „Die wirklichen Verbrecher sind bis heute straflos“ (Berliner Zeitung, 21.05.2021)
- Ausgehöhlte Rechtsstaatlichkeit: Der Fall Julian Assange (Deutsche Welle, 19.04.2021)
Auf Youtube gibt es inzwischen unzählige Interviews mit Nils Melzer. Tilo Jung hat ein vierstündiges Interview mit ihm geführt. Herr Melzer hat mit Wolfgang Heim vom SWR, mit einem Journalisten vom Schweizer Magazin Beobachter, mit den Useful Idiots aus Amerika und vielen weiteren Medienschaffenden gesprochen. Durch das SWR-Interview hat er es sogar in die ARD-Mediathek geschafft.
Und auch dort, wo Nils Melzer nicht zitiert oder erwähnt wird, bin ich überzeugt davon, dass viele Artikel nie erschienen wären, wenn der UNO-Sonderberichterstatter nicht so lautstark gegen den Umgang mit Julian Assange protestiert hätte. Erst dann müssen sich viele Redakteure getraut haben, das Thema anzufassen, sich damit zu beschäftigten und vom alten Narrativ (Assange, der zwielichtige Verbrecher) abzuweichen.
Die Leitmedien gegen Nils Melzer
Als Professor Melzer sein Buch über den Fall Julian Assange veröffentlichte und es sich immer mehr herumsprach, was da eigentlich vor sich geht, begann ich mir Gedanken zu machen. Das kann doch nicht lange gut gehen. Wir sind im Westen vielleicht noch nicht so weit, dass ihm gleich etwas zustößt, also seine körperliche Unversehrtheit angegriffen wird. Das wäre einfach zu offensichtlich. Aber irgendetwas müsste da doch kommen, irgendwer wird irgendwelche schmutzigen Geschichten und Vorwürfe auspacken und Herrn Melzer damit diskreditieren wollen. Vielleicht wird er am Ende als Verschwörungstheoretiker verschrien und nicht mehr ernst genommen, so wie zum Beispiel Daniele Ganser. So misstrauisch war ich inzwischen gegenüber unseren politischen und medialen Institutionen.
Professorin in der NZZ: Melzer verwendet den Begriff „Folter“ nicht richtig
Es ist nicht so, dass es nicht von Anfang an versucht wurde. Nils Melzer ging mit der Behauptung, Julian Assange sei ein Folteropfer, an die Öffentlichkeit. Und prompt fand die NZZ eine Professorin, die das als unglaubwürdig bezeichnete (20.02.2020). Sie warf dem erfahrenen Folterexperten, der Julian Assange persönlich zusammen mit zwei im Umgang mit Folteropfern ebenfalls sehr erfahrenen Fachärzten besucht hatte, vor, den Begriff Folter falsch zu verwenden. Sie selbst hat Assange natürlich nicht besucht und es gibt auch keine Hinweise darauf, dass sie sich sonst in praktischer Hinsicht jemals mit Folteropfern beschäftigt hat. Ihr Text lässt auch vermuten, dass sie sich mit den Details im Fall Assange nur oberflächlich beschäftigt hat. Aber die Schlagzeile, die besagte, Nils Melzer sei unglaubwürdig, stand jetzt nun einmal groß in der Zeitung.
Trotzdem floppte dieser Diskreditierungsversuch weitgehend und heute spricht niemand mehr davon, dass Nils Melzer von Folter eventuell keine Ahnung haben könnte. Die NZZ veröffentlichte kurz darauf Melzers Replik (25.02.2020), in welcher er die Professorin Hörnle in Grund und Boden argumentierte. Da die NZZ diese Replik aber leider hinter einer Paywall versteckt (Hörnles Kritik aber nicht), hat die Webseite Themen der Zeit die Replik in voller Länger veröffentlicht.
Merkwürdige Artikel im Spiegel und in der FAZ
Dann versuchte es noch der Spiegel mit einem merkwürdigen Artikel (06.03.2020), aus welchem man nicht so richtig schlau wird. Ein Blick in die Spiegel-Community macht deutlich, dass auch viele Spiegel-Leser selbst mit dem Artikel nicht viel anfangen können. Aber auch, dass Nils Melzers Analysen zum Fall Assange irgendwie patriarchalisch seien oder so, ist abgesehen von diesem kleinen Spiegel-Artikel niemals zu einem medialen Thema geworden.
Mitte 2021 erschien dann eine seltsame Buch-Rezension zu Nils Melzers Assange-Buch in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, welche mich ratlos zurückließ: Der Autor der Rezension, Günter Hack, hat ja irgendwie alles in dem Buch falsch verstanden. Kann das einem Journalist von einer so großen Zeitung wirklich passieren? Oder wollte er nicht verstehen und hat das Buch vielleicht auch nur überflogen anstatt es gründlich zu lesen? Wollte er vielleicht endlich mal die Begriffe „Nils Melzer“ und „Verschwörung“ offiziell in einem Text vereinen und ihn in die „feindliche“ Richtung schieben? (Günter Hack beschwert sich darüber, dass Nils Melzer schreibt, der von Russland finanzierte Sender RT hätte ihm und dem Fall Assange als einer von wenigen Medieninstitutionen schon früh Aufmerksamkeit geschenkt. Für den Redakteur Hack geht das gar nicht – angesichts des „Vorgehens der russischen Regierung gegen Alexej Nawalny“.)
Diskreditierungsartikel in der Süddeutschen Zeitung
Dann war erstmal Ruhe. Professor Melzer sprach sich derweil öffentlich zu anderen Themen aus, zum Beispiel gegen ein neues Schweizer Antiterrorgesetz und gegen die Polizeigewalt auf Corona-Demos. Im Januar 2022 veröffentlichte die Süddeutsche Zeitung schließlich einen Artikel über Nils Melzer.
Tief in meinem Inneren hatte ich bereits auf einen solchen Diskreditierungsartikel gewartet, aber geärgert hatte er mich trotzdem. Die SZ beleidigt Herrn Melzer als schrillen Kronzeugen von Putin-Freunden und Corona-Leugnern, weil er sich von RT interviewen ließ und darauf aufmerksam gemacht hat, dass es auf Demonstrationen gegen die Corona-Maßnahmen brutale Polizeigewalt gab.
Der Artikel ist skurril. Die Autoren werfen Melzer vor, den falschen Accounts auf Twitter zu folgen und mit den falschen Menschen auf ein- und derselben Veranstaltung zu sein. Irritierend ist die Behauptung, Melzer setze sich für Opfer staatlicher Gewalt ein, gehe dabei aber wohl zu weit. Ist das wirklich die Haltung der demokratischen Presse, beim Einsatz für Opfer staatlicher Gewalt bitte nicht zu weit zu gehen?
Nils Melzer wollte sich in einer Replik wehren, doch die SZ weigerte sich, die Replik zu veröffentlichen. Er veröffentlichte sie dafür unter anderem auf Twitter. Die Süddeutsche Zeitung bekam für diesen diffamierenden Artikel einen gewaltigen Shitstorm auf Twitter ab. Ein paar Beispiele findet man am Ende dieses Kapitels als Screenshots. Man hat einfach gesehen, dass die Menschen hier vollkommen anderer Meinung sind als die beiden Autoren und dass sie wohl kaum fassen können, was sie SZ-Journalisten hier eigentlich schreiben.
Und dennoch schien der Artikel seine Wirkung nicht verfehlt zu haben: Zum 01.04.2022 trat Professor Nils Melzer als Sonderberichterstatter der Vereinten Nationen über Folter zurück. Er begründete dies damit, dass er einen Posten beim Roten Kreuz antritt (wo er vor seinem UN-Mandat schon gearbeitet hatte). Aber ist der zeitliche Zusammenhang zwischen Diffamierungsartikel und Rücktritt wirklich nur ein Zufall…? Da bleibt doch irgendwie ein fahler Beigeschmack. Dabei muss man Nils Melzer dankbar sein für seinen Einsatz für mehr Menschlichkeit in der ganzen Welt.
Die SZ-Leser sind das offensichtlich. Hier ein paar beispielhafte Reaktionen auf den Artikel der beiden SZ-Redakteure:
Teil 3: Leon Panetta lacht über Menschenrechte
Teil 2: Assange ist ein Folteropfer – Erkenntnisse eines UN-Sonderberichterstatters
Teil 1: Wissen oder Nichtwissen? Wie der Fall Julian Assange mein Weltbild verschlechtert hat