KInder im Tulpenfeld

Ich finde nicht, dass noch mehr Schule, Betreuung und Outsourcing der Kindererziehung das Land kinderfreundlicher macht

Die Journalistin und Bloggerin Nathalie Klüver hat im Jahr 2022 ein Buch mit dem Titel „Deutschland – ein kinderfeindliches Land?“ geschrieben. Sie findet Deutschland kinderfeindlich, erklärt in dem Buch, warum sie dieser Ansicht ist und was ihrer Meinung nach passieren muss, damit Deutschland kinderfreundlicher wird.

Frau Klüver und ich sind Mütter, die die Situation in unserem Land nicht kinder- und familienfreundlich finden und der Meinung sind, dass sich vieles ändern muss. Ein Buch darüber zu schreiben, finde ich wichtig, und deshalb habe ich auch nicht gezögert, es zu kaufen. Ich fand auch den Untertitel sehr vielversprechend: „Worunter Familien leiden und was sich ändern muss.

Es benennt Probleme, die schwer wiegen, und enthält manchen Lösungsvorschlag, der das Leben für Familien und Kinder angenehmer machen würde. Doch zugleich haben mich viele Stellen ihres Buches irritiert bis hin zu enttäuscht und deprimiert. Für mich war das schlimm, denn ich hatte beim Lesen viele negative Emotionen. Allgemein aber, ist es natürlich nicht schlimm, sondern das ganz normale Wesen einer gesunden Meinungsvielfalt. Jeder stellt sich die perfekte Gesellschaft anders vor, und es lohnt sich, konstruktiv über den Inhalt von Frau Klüvers Buch zu diskutieren.

Ich werde einige von Frau Klüvers Forderungen kritisieren und erklären, weshalb ich sie nicht kinderfreundlich finde, sondern meiner Meinung nach oft das Gegenteil der Fall ist, und ich freue mich über regen Austausch darüber, wie andere Mütter und Väter oder auch Menschen ohne Kinder, die sich trotzdem für Kinder interessieren, das sehen. Ob sie eher Frau Klüvers Ansicht teilen, oder meine, oder ihre ganz eigene Perspektive auf das ganze Thema haben.

Zu keinem Zeitpunkt habe ich vor, die Autorin persönlich anzugreifen. Ich respektiere sie und ihre Ansichten und Bedürfnisse und möchte sie einladen zu einer sachlichen Auseinandersetzung mit Themenbereichen, die uns beiden wichtig sind, wo unsere Meinungen darüber, was „familienfreundlich“ oder „kinderfreundlich“ ist, aber weit auseinandergehen.

Warme Worte, kluge Forderungen: Nathalie Klüver hat ohne Zweifel ein Herz für Kinder

Nathalie Klüver findet an vielen Stellen in ihrem Buch warme Worte, wenn es um Kinder geht. Ich glaube, dass ihr das Wohlergehen der Kinder Deutschlands wirklich am Herzen liegt. Ich kann ihr einfach nur von ganzem Herzen zustimmen, wenn sie schreibt, dass Erwachsene viel zu oft über die Köpfe der Kinder hinweg entscheiden, immer glauben zu wissen, was gut für sie ist, ohne sie selbst zu fragen, sie als Objekte behandeln, aber nicht als Subjekte mit eigenen Vorstellungen und eigenem Bewusstsein dafür, was ihre Bedürfnisse sind. Wir müssen mit Kindern auf Augenhöhe sprechen und die UN-Kinderrechte gehören ins Grundgesetz, das fordert Frau Klüver. Ja! Da stimme ich zu!

Auch kritisiert sie es scharf, dass Millionen von Kindern von Armut betroffen und gesellschaftlich benachteiligt sind, zum Beispiel keine Chance haben, ein Instrument zu lernen oder mit auf Klassenfahrt zu fahren oder überhaupt irgendwie einen Weg aus der Armut zu finden. Auch hier: Volle Zustimmung, das macht traurig und darf nicht sein!

Nathalie Klüver zeichnet auch ein wunderschönes Bild von einer kinderfreundlichen Stadt, wo nicht der Autoverkehr im Zentrum steht, sondern die Möglichkeit, in Sicherheit zu spielen und es sich gut gehen zu lassen. Sie fordert ein Maximaltempo innerorts von 30 km/h, damit die Sicherheit und Lebensqualität von Menschen und insbesondere Kindern im Vordergrund steht, nicht der Verkehrsfluss. „Wie kann man nur Autos so viel Platz einräumen und Kinder immer weiter aus dem öffentlichen Leben hinausdrängen?“ (S. 46/47), fragt sich Nathalie Klüver und ich schließe mich dieser Frage ohne Weiteres an. Auch ihren Ausführungen darüber, wie nervig und anstrengend es ist, mit kleinen Kindern Zug zu fahren, kann ich mich anschließen (und zwar natürlich nicht der Kinder wegen, sondern aufgrund der Bedingungen).

Nathalie Klüver hat also ein Buch geschrieben, in welchem sie für eine kinderfreundlichere Gesellschaft plädiert. Das ist wunderbar. Was hat in mir denn dann so negative Emotionen geweckt?

Die voll berufstätigen Eltern und das rundum institutionell betreute und geförderte Kind: Das ist für mich keine kinderfreundliche Gesellschaft

Es ist erstaunlich, wie oft in Nathalie Klüvers Buch Worte vorkommen wie „Kinderbetreuung“, „Ganztagsbetreuung“, „Ganztagsschule“, „Vereinbarkeit von Beruf und Familie“, „Bildung“ und „Arbeitsmarkt“. Ich kann mich hingegen nicht daran erinnern, Worte gelesen zu haben wie „Bindung“ oder „Liebe“ und ganz selten – nämlich dann, als Nathalie Klüver über die UN-Kinderrechte schreibt – geht es um „Freizeit“, „Spiel“ und „Erholung“ (denn das Recht auf Freizeit, Spiel und Erholung ist eines der in der UN-Kinderrechtskonvention festgehaltenen Kinderrechte). Vielleicht ahnt man jetzt schon, in welche Richtung meine Kritik gehen wird. Ich werde nun jedem Thema, das mir wichtig ist, einen eigenen Artikel – sozusagen ein Kapitel – widmen. Diese Kapitel nehmen manchmal Bezug aufeinander, sind aber prinzipiell in sich abgeschlossen.

Wenn man etwas zum Kapitelthema beitragen möchte, bietet es sich an, den jeweiligen Artikel einfach zu kommentieren.

Hier eine Übersicht über alle nun folgenden Kapitel:

Teil 2: Ich finde es nicht kinderfreundlich, den ganzen Tag in der Schule zu sein
Teil 3: Nein, bitte lasst uns nicht die Freizeit verschulen
Teil 4: Frühkindliche Betreuung: Probleme verschwinden nicht, wenn man sie ignoriert
Teil 5: Chancengleichheit auf Lebensglück: Wir brauchen kein Land voller hochgebildeter Akademiker
Teil 6: Vereinbarkeit von Beruf und Familie: Manche Eltern möchten ihre Kinder gerne selbst betreuen
Teil 7: Kinderarmut überwinden, indem wir die Mütter dazu drängen, mehr zu arbeiten, ist nicht kinderfreundlich, sondern neoliberal
Teil 8: Ein Mensch kann nicht alles sein: Eine kinderfreundliche Gesellschaft sollte anerkennen, dass manches unvereinbar ist
Teil 9: Platz für alle Lebensentwürfe: In einer kinderfreundlichen Gesellschaft sollten Menschen auch ohne Nachteile kinderlos sein dürfen
Teil 10: Eine Frage der Weltanschauung: Wie viel Staat tut einem Kinderleben gut?
Teil 11: Fazit: Wie wollen wir denn nun leben? Vielleicht gehen unsere Vorstellungen am Ende gar nicht so weit auseinander – doch Nathalie Klüver könnte mit ihrem Buch falsche Eindrücke erwecken

Beitragsbild: Bild von Ben Scherjon auf Pixabay

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