„Ich dachte immer, jeder Mensch sei gegen den Krieg, bis ich herausfand, dass es welche gibt, die dafür sind, besonders die, die nicht hingehen müssen.“
Erich Maria Remarque, Autor des Buches „Im Westen nichts Neues“.
Am 25.02.2022, ganz kurz nach Beginn des Russland-Ukraine-Krieges, las ich in der Berliner Zeitung ein Interview mit dem Historiker und Friedensaktivisten Rainer Braun. Ich hatte schon ein wenig Angst in dieser Zeit, weil ich spürte, wie große Teile unserer Leitmedien der Gesellschaft, von einem Tag auf den anderen, einzureden begonnen hatten, dass Kriege geführt und gewonnen werden „müssen“, dass Krieg eine akzeptable Lösung ist, wenn es nun einmal nicht anders geht, dass Verhandlungen hingegen inakzeptabel seien. Das Kriegsgetrommel, die Kriegsrhetorik von Helden und Schlachtfeldern jagte mir einen eiskalten Schauer über den Rücken und ich hatte nach deeskalierenden und vernünftigen Gegenstimmen gesucht.
Die öffentliche Meinung 2022: Pazifisten sind scheiße
Und da hatte Rainer Braun also in dem Interview gesagt: „Ich sehe ein Klima des Kalten Krieges, der Dämonisierung von Kritikerinnen und Kritikern der Kriegs- und Aufrüstungspolitik auf uns und auch auf mich zukommen. Es wird nicht mehr diskutiert und seine Meinung mit Respekt ausgetauscht, sondern diffamiert.“
Da dachte ich noch: Ob es wirklich so dramatisch werden wird? Oder kriegen sich bald alle wieder ein, wenn sie die schrecklichen Kriegsbilder sehen?
Aber genauso ist es leider geworden. Die Kriegsbilder kamen, aber sie trugen nicht dazu bei, dass man sich besinnt und ein sofortiges Kriegsende fordert, um das Sterben zu beenden. Nein, sie wurden und werden verwendet um weiter aufzustacheln.
Wer nach den Kriegsursachen fragt, wird grob abgespeist. Ein aggressiver SPIEGEL-Kolumnist beleidigt Menschen, die im Krieg und in der Aufrüstung keine Lösung erkennen können, als „Lumpenpazifisten“. (Ein SPIEGEL-Abonnent hat diesen Kolumnisten mal im Kommentarbereich des SPIEGELS im Zusammenhang mit einem anderen Artikel als einen „totalitären Hassprediger“ bezeichnet. Nur so als Anmerkung, mir geht diese Bezeichnung seitdem nicht aus dem Kopf.)
Unser Wirtschaftsminister hat ein noch schöneres Wort gefunden für Menschen, die den Kriegspfad seiner ehemaligen Friedenspartei nicht mitgehen: Vulgärpazifismus.
Der neue linksgrüne Konsens: Waffenlieferungen sind moralisch und gut
Unser Landwirtschaftsminister, Cem Özdemir, sagt, man müsse Waffen liefern, um eine Hungerkrise abzuwenden. Es wirkt wie medialer und politischer Konsens, dass schwere Waffen und noch mehr Waffen und noch mehr Krieg genau das sei, was man jetzt benötige, um einen Weltkrieg zu verhindern.
Jahrelang war es linker und grüner Konsens, dass Waffen Kriege nur verlängern und noch schrecklicher machen. Dass Waffenlieferungen in Kriegsgebiete scheiße sind, weil sie das Leid vergrößern und das Kriegsende hinauszögern. Die Grünen hatten ein Ende aller Waffenlieferungen in Kriegsgebiete noch in ihrem Wahlprogramm 2021 und ich hab diese Typen, die jetzt am allerlautesten nach den schwersten Waffen schreien, gewählt. Hatte irgendwie die dumme Hoffnung, Deutschland würde dann vielleicht nicht mehr im Jemen-Krieg immer mehr Öl ins Feuer gießen, damit die vollkommen zerstörten Menschen dort vielleicht auch irgendwann wieder die Chance haben, im Frieden zu leben.
Waffenlieferungen galten immer als etwas moralisch Verwerfliches. Das haben die rechtskonservativen Parteien gemacht, und zwar rein dem Kapitalismus zuliebe. Weil sie der Waffenlobby hörig waren.
Und es braucht nicht länger als ein paar Wochen, um das alles über den Haufen zu schmeißen. Auf einmal sind Waffen super und Tote nun einmal unvermeidbar – die Kämpfer sterben ja immerhin als Helden, was will man mehr, und die Zivilisten, die gar nicht kämpfen wollen, die gehen auf Putins Konto. Für die können wir ja nix. Obwohl – halt. Die gibt’s ja gar nicht! In der Ukraine wollen ja ALLE kämpfen, habe ich gehört!
Und die Zerstörung in der Ukraine? Darüber machen wir uns später Gedanken, erstmal muss der Krieg gewonnen werden. Natürlich auf dem Schlachtfeld mit schweren Waffen. Wie lange bis dahin geschlachtet wird? Keine Ahnung, die amerikanische Presse vermutet, wohl „bis zum letzten Ukrainer“. Aber am Ende steht jedenfalls der Endsieg. Darum geht’s doch!
Ein Krieg ist keine Vergewaltigung, kein Einbruch, keine Baseballschlägerattacke und auch sonst nichts Persönliches
In den Kommentarspalten der Leitmedien empören sich viele Menschen über die unsensiblen Pazifisten, die den Ukrainern die Chance nehmen wollen, sich selbst zu verteidigen, und personifizieren einen Staat, vergleichen den Krieg ständig mit zwischenmenschlichen Einzelsituationen: Wenn eine Frau vergewaltigt wird, soll sie den Vergewaltiger also einfach machen lassen, Hauptsache die Nachbarn werden nicht gestört? Wenn jemand in dein Haus einbricht, überlässt du ihm dann einfach dein Haus? Wenn ein 120-Kilo-Mann sich auf dich stürzt und dich mit einem Baseballschläger erschlagen will, dann musst du dich doch wehren, oder??
Hier zwei Beispiele von Unzähligen, entnommen den Kommentarbereichen von Zeit Online und Spiegel Online aus den Facebook-Kommentaren von FOCUS-Online:
Naja, Geostrategen wie George Friedman aus den USA, die ganz offen sagen, dass sie bewusst zermürbende Kriege herbeiführen und weshalb sie es tun freuen sich. Die verlinkte Rede ist von 2015 und er macht ab Minute 4:30 ein paar sehr freundliche Empfehlungen und „erklärt“ ab Minute 8:30 auch den Sachverhalt rund um Russland und die Ukraine.
Die interessieren sich einen Scheiß für Zivilsiten und finden es super, dass einfache Menschen die macht- und geopolitschen Kriege von Supermächten als eine persönliche Sache begreifen und voll dafür sind, dass sich andere oder sie selbst verheizen lassen. Schließlich ist das ja wie eine Vergewaltigung, wie ein Hauseinbruch, wie eine individuelle körperliche Attacke und da wehrt man sich natürlich. Und letztendlich ist man dann Kanonenfutter und je mehr Kanonenfutter, umso zermürbender und länger der Krieg. Für George Friedman und Konsorten geht in solchen Kriegen also alles nach Plan.
Man denke sich nur mal aus, was die abgehobenen Geostrategen und Präsidenten sowie deren Berater machen würden, wenn die Leute sagen würden, sie sollen ihren Scheiß alleine machen und sich gerne selbst verheizen lassen für die Ressourcen, Territorialansprüche und die Macht ihrer Staaten. Aber erst müsste das Bewusstsein geschaffen werden dafür, dass es Typen gibt, die Kriegssituationen planen, herbeiführen und am Laufen halten. Wer so etwas behauptet, hat aber ganz schnell den Stempel „Verschwörungstheoretiker“ auf der Stirn. Da können die das noch so öffentlich und ungeniert aussprechen.
Danke an die Pazifisten, die an die Öffentlichkeit gehen!
In dieser Stimmung, die ich unerträglich bis hin zu ekelhaft finde, bin ich dankbar, dass es Menschen gibt, die sich öffentlich gegen die Kriegstreiberei stellen und zu ihrer pazifistischen Haltung stehen. Sie haben womöglich gewusst, was auf sie zukommen wird, und sind dennoch mit einem offenen Brief an Olaf Scholz und einer Petition sowie einem anderen offenen Brief, ebenfalls an Scholz, an die Öffentlichkeit gegangen.
Ich danke Alice Schwarzer, Juli Zeh, Ranga Yogeshwar, Martin Walser und all den anderen Persönlichkeiten. Ich persönlich danke vor allem Konstantin Wecker und Reinhard Mey. Die Friedenslieder der Musiker trösten mich in dieser von Kriegstreiberei geplagten Zeit und geben mir Hoffnung – jetzt noch mehr, wo ich weiß, dass die Musiker auch jetzt noch zum Frieden stehen, wo man sich als Pazifist der medialen Diffamierung sicher sein kann.
Reinhard Mey hat erst vor knapp zwei Jahren mit einer ganzen Reihe deutscher Musiker, teils aus der Schwarzen Szene, sein Anti-Kriegs-Lied „Nein meine Söhne geb ich nicht“ neu aufgenommen. Nicht ahnend, dass die öffentliche Meinung in Deutschland jemals wieder so kriegsbegeistert sein könnte, habe ich den Song meinem gesamten Umfeld vorgespielt. Nur so, aus Prinzip. Als Mahnmal sozusagen, damit wir nie vergessen, immer Nein zum Krieg zu sagen.
Alle waren ergriffen und voller Zustimmung. Und jetzt das. Wobei ich feststellen muss: In meinem persönlichen Umfeld sehe ich nur wenig Zustimmung zum Kriegskurs der deutschen Medien und Politiker. Ich kenne nur einen Mann persönlich, der voller Überzeugung behauptet, er würde zur Waffe greifen und Deutschland verteidigen, wenn der Russe hierherkommt (der ist aber übrigens Ukrainer und ist bislang noch nicht aufgebrochen, um seine Landsleute tatkräftig im Kampf zu unterstützen).
Lebe ich also in einer Bubble? Oder gibt es doch viel mehr Lumpen- und Vulgärpazifisten als manch einem lieb ist…?
Kunst gegen Krieg: Meine liebsten Friedenslieder für schwierige Stunden
Ich empfehle den erwähnten Song „Nein meine Söhne geb ich nicht“, der mir viel Trost spendet in all dem Kriegswahnsinn.
Und auch das legendäre „Es ist an der Zeit“, gesungen von Konstantin Wecker, Reinhard Mey und Hannes Wader.
Und auch Udo Lindenberg und der kleine Junge Pascal Kravetz hatten in ihrem Song „Wozu sind Kriege da?“ in den 1980ern wichtige Fragen, die auch heute noch aktuell sind.
Und da zur Zeit immer alle von Kriegshelden reden: Gibt es wirklich Kriegshelden? Oder nur tote oder traumatisierte Männer und Frauen? Die amerikanische Band Rise Against fängt dieses Thema in ihrem Song „Hero of War“ gut ein. Es geht zwar um Amerikanische Soldaten und deren Auslandseinsätze, aber die Message ist – denke ich – universell.