Heute wurde ich auf einen Artikel der Tagesschau aufmerksam. „Wie die Angst vorm Krieg instrumentalisiert wird“ lautet der Titel dieser Schrift. Der erste Absatz schildert uns, worum es im folgenden gehen wird: „Immer wieder wird behauptet, dass Deutschland bald zur Kriegspartei werde. Der neue Vorwurf: Die Regierung plane das, um Wahlen zu verhindern und so an der Macht zu bleiben. Doch hinter der Panikmache stecken prorussische Interessen.“
Mich stören schon sehr viele Dinge an der Berichterstattung der öffentlich-rechtlichen, auch an derart unscheinbaren Artikeln. Daher möchte ich meine Kritik anbringen.
Die Einleitung: Irreführende Formulierungen
Der einleitende Abschnitt ist bereits feinste Propaganda. Natürlich dient jegliche Angst vor einem Krieg mit Russland den Interessen Russlands. Eine Waffenverbotszone dient auch den Interessen eines Attentäters, da dieser unbewaffnete Opfer bevorzugt. Aber ist somit die Forderung nach einer Waffenverbotszone automatisch eine kriminelle Forderung nur weil Kriminelle diese Forderung begrüßen?
Nur weil die Angst vor dem Krieg im russischen Interesse liegt, sagt das noch nichts darüber aus, ob eine Angst vor Krieg auch aus anderen Gründen gegeben ist. Der einleitende Satz soll dem Leser ganz klar das Gefühl abringen: „Die Russen wollen, dann ich Angst habe, dabei muss ich gar keine Angst haben.“ Als Einleitung wäre es wesentlich neutraler, folgende Formulierung zu wählen:
„Immer wieder kommt die Sorge auf, Deutschland könne Kriegspartei werden. Neue Vorwürfe unterstellen der Regierung Kriegspartei werden zu wollen, um Wahlen zu verhindern und an der Macht zu verweilen. Ein im Umlauf befindlicher Kettenbrief suggeriert die bevorstehende Gefahr einer Zwangsrekrutierung.“
Das ist neutral und fasst den gesamten Artikel kurz zusammen ohne eine prorussische Interessensgruppe zwischen den Zeilen einzubauen, die im gesamten Artikel nicht auftaucht.
Das Verhalten gegenüber anderen Medien
Im nächsten Abschnitt geht es um einen Auszug auf der Seite hildesheim.de. Dort stand: „Die Bundestagswahl zum 21. Deutschen Bundestag wird – vorbehaltlich der Auflösung des Bundestages nach Artikel 68 und vorbehaltlich der Verlängerung der Wahlperiode im Verteidigungsfall nach Artikel 115 h des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland – voraussichtlich im Herbst 2025 stattfinden.“ Diese vielen Vorbehalte wurden nun scheinbar durch Nutzer von X als Grundlage verwendet, um irgendetwas zu behaupten. Was genau weiß ich nicht, denn die Tagesschau gibt nur ein Zitat wieder: „Wann wurde das in den letzten Jahrzehnten so offen kommuniziert? Die Entwicklungen lassen nichts Gutes erahnen.“
Kein Mensch kann mit Gewissheit sagen, was dieses Zitat genau ausdrücken soll. Es ist reine Interpretationssache und eignet sich daher nicht, um irgendetwas zu belegen.
Nun verweist die Tagesschau auf das „rechtspopulistische“ Compact-Magazin. Die Einordnung von Medien in rechtspopulistisch, linkspopulistisch, libertär, totalitär, etc. ist im Sinne einer neutralen Berichterstattung nur dann akzeptabel, wenn alle referierten Medien eingeordnet werden und die Grundlagen einer solchen Einordnung für den Leser einsehbar und damit nachvollziehbar werden. Ist die Taz linkspopulistisch? Ist die Tagesschau regierungstotalitär? Je nachdem welcher Maßstäbe man sich bedient, kann man zu solchen Einordnungen kommen, doch diese müssen einsehbar und nachvollziehbar sein. Ein plump herausgeschriehenes „rechtspopulistisch“ ist lediglich manipulativ, aber mehr auch nicht.
Wie dem auch sei, das Compact-Magazin nähme laut der Tagesschau den Hildesheim Eintrag als Beweis. Also habe ich mir den Artikel von Compact einmal angesehen.
Der Compact-Artikel: Falsche inhaltliche Wiedergabe
Das Compact-Magazin hat geschrieben „Die Bundesregierung stimmt die Deutschen auf Krieg ein – und auf die Abschaffung der Demokratie“. Der Artikel kann zum Teil auf compact-online.de gelesen werden. Interessant hierbei ist die Überschrift „Kriegsgefahr: Droht die Notstandsdiktatur?“. Im Artikel selbst wird aus dem Grundgesetz Artikel 115h zitiert. Die Quintessenz ist hier, dass es keine Wahlen gibt, während wir uns im Verteidigungsfall befinden.
Das ist in der Ukraine übrigens im Moment genau das Gleiche. Eigentlich müsste es jetzt Wahlen geben, aber wegen des Krieges sind diese ausgesetzt. Compact beruft sich für die These, es gäbe keine Wahlen im Verteidigungsfall, auf Artikel 115h des Grundgesetzes. Als Beispiel, nicht als Beweis, sondern als Beispiel, nennen sie daraufhin die oben beschriebene Seite von Hildesheim.de. Diese, Sie erinnern sich, hat sich ebenfalls auf Artikel 115h des Grundgesetzes berufen. Demnach nimmt Compact Hildesheim nicht als Beweis dafür, dass die Regierung keine Wahlen abhalten will, sondern den Grundgesetz Artikel 115h als Beweis, dass im Verteidigungsfall keine Wahlen abgehalten werden würde. Das sind zwei grundverschiedene Aussagen, und die Tagesschau war hier entweder schwer nachlässig oder manipulativ unterwegs.
Verwirrender Abschnitt: Ich widerlege dich, indem ich dich beweise
Die Tagesschau erläutert nun, dass Hildesheim den Eintrag schon vor dem Ukrainekrieg auf seiner Homepage hatte. Demnach hat die Formulierung unter Bezug auf Artikel 115h nichts mit dem jetzt tobenden Krieg zu tun. Man wollte einen Text verfassen, der möglichst alle Eventualitäten miteinbezieht, daher auch der Verweis auf Artikel 115h. Das macht Sinn, das kann ich gut nachvollziehen und das wirkt auch naheliegender als ein Langzeitplan unserer Regierung, der sich durch die Hildesheim Seite seinen Weg in die Freiheit bahnt.
Dennoch hat Compact eben nicht behauptet, wir würden Kriegspartei und dafür Hildesheim als Beweis genommen. Compact schrieb, dass wir laut Grundgesetz keine Wahlen hätten, solange wir uns im Verteidigungsfall befänden. Die Tagesschau straft Compact lügen indem Sie nun schreiben: „Das Grundgesetz schreibt nämlich genau vor, in welchen Fällen eine Bundestagswahl verschoben werden kann, die eigentlich rechtmäßig nach vier Jahren ansteht. ‚Eine Verlängerung (…) sieht das Grundgesetz nur im Verteidigungsfall gemäß dem Art. 115a GG vor. Nach Art. 115h GG endet eine während des Verteidigungsfalles ablaufende Wahlperiode des Bundestages sechs Monate nach Beendigung des Verteidigungsfalles’, erläutert das Büro der Bundeswahlleiterin dem ARD-Faktenfinder.“
Sie widerlegen also Compact, indem sie genau das gleiche formulieren wie Compact. Das ist entweder nachlässig, weil man den Artikel nicht gelesen hat, oder inkompetent, weil man den Artikel nicht verstanden hat. Beides ist keine 18,36 Euro wert.
Autoritätsargumente sind keine Argumente
Der nächste Absatz beschäftigt sich mit Aussagen von Autoritäten, die allem Anschein nach gefragt wurden, ob die Bundesregierung vorsätzlich den Verteidigungsfall ausrufen würde um an der Macht zu bleiben. Lea Frühwirth sagt, diese Narrative passen zu den prorussischen Interessen.„Von 2018 bis 2021 war sie bei Reconquista Internet und Hassmelden tätig“, laut der Aussage auf der Website von CeMAS, wo sie auch heute arbeitet. Reconquista Internet wurde von Jan Böhmermann gegründet. Dieser ist Mitarbeiter beim ZDF, damals ZDF Neo, also den öffentlich-rechtlichen. Nun kann man streiten ob diejenigen, die für eine von einem ÖRR-Mitarbeiter gegründeten Bewegung arbeiten, auch indirekt für den ÖRR arbeiten oder nicht. Wissenswert, dass Frau Frühwirth zumindest mittelbar mit dem ÖRR bereits zusammengearbeitet hat, wäre es aber schon gewesen, das hätte die Tagesschau eigentlich kundtun sollen.
Der nächste Interviewpartner ist Professor Joachim Behnke. Dieser sagt, in Bezug auf den Ausruf des Verteidigungsfalles „dass so etwas von der Bundesregierung im Alleingang beschlossen werden könnte, ohne dass das Parlament oder das Verfassungsgericht einschreiten würden, ist völlig haltlos“. Das stimmt. Aber man wird ja nicht Kriegspartei, wenn das Parlament darüber abstimmt. Angenommen unsere Außenministerin würde in jede Kamera brüllen, dass wir den totalen Krieg mit Moskau wollen und den russischen Untermenschen zu vernichten wüssten. Nun dann bräuchte es kein formales Ausrufen des Verteidigungsfalles, denn dann könnte Russland ganz alleine entscheiden es sei nun Zeit mit uns Krieg zu führen.
Die Verschwörungstheorie scheint ja die zu sein, dass unsere Regierung mit Absicht eskaliert, um es zum Krieg kommen zu lassen, damit sie in Folge dessen weiter an der Macht bliebe. Nach den vorgebrachten Inhalten wären die Wahlen ausgesetzt, wenn es zum Verteidigungsfall käme. Der eigentliche Streitpunkt ist jetzt nur noch der, ob eine Eskalation gewünscht ist oder nicht. Der Experte schreibt diese Unterstellung sei haltlos, warum das aber so sei sagt er nicht.
Wozu Menschen fähig sein können zeigt ein Blick in die Geschichtsbücher. Vlad der Dritte ist ein nettes Beispiel hierfür, ohne Bezug zum dritten Reich. Menschen können sehr bösartig sein und es ist per se nichts verwerfliches daran, Menschen mit großer Macht ein großes Misstrauen entgegenzubringen.
Nicht alles ist schlecht – aber vieles schon
Der Abschnitt „Wiederholte Kriegstreiber-Vorwürfe“ ist tatsächlich gut. Entweder hat der Autor sich wieder erinnert wie man neutral berichtet oder seine Pausenvertretung hat den Abschnitt verfasst.
Beim Thema Kettenbrief wird es wieder leicht propagandistisch. Scheinbar ist ein Kettenbrief in Umlauf, der Panik vor einer Mobilmachung schürt. Leider ist dieser Brief nicht abgedruckt, daher kann ich nichts näheres dazu sagen. Aber der ARD-Faktenfinder ist hier etwas naiv unterwegs, denn dieser fragt die Sprecherin des Bundesverteidigungsministeriums zu diesem Thema, worauf diese entgegnet: „In Deutschland sei die Wehrpflicht gesetzlich geregelt. Laut dem sogenannten Wehrpflichtgesetzt (WpflG) sind grundsätzlich erst Männer ab 18 Jahren wehrpflichtig und außerdem ‚ruht die Wehrpflicht nicht allein aufgrund einer Ummeldung ins Ausland‘“. Also das Ministerium, dass dazu da ist, Soldaten zu besorgen,- wenn eine feindliche Armee bei uns einmarschiert sagt, es dürfen nur Männer ab 18 Jahren eingezogen werden. Witziger Weise hat die Dame im letzten Teil inhaltlich quasi gesagt: „Egal ob ihr ins Ausland abhaut, wir kriegen euch da auch!“
Jedem Menschen ist klar, wenn wir uns verteidigen müssen und der Angreifer, wer auch immer es ist, unsere Soldaten aufreibt, werden die Machthaber alles ins Feld führen was ihnen zur Verfügung steht. Ein Blick ins Geschichtsbuch zeigt, dass jeder der eine Waffe halten kann notfalls in eine Schlacht geworfen wird, hierzu sei nur die Vokabel Volkssturm erwähnt. Ich bin mir sicher, wir werden, sofern der Ukraine die erwachsenen Soldaten ausgehen, auch dort Jugendliche und Senioren in Uniform sehen. Es ist naiv anzunehmen, ein Staat würde darauf verzichten seine Jugendlichen zu verheizen wenn er denkt, er könne den Krieg noch gewinnen.
Propaganda gibt es in allen Geschmacksrichtungen
Zu guter Letzt möchte ich noch auf einen Satz von Frau Frühwirth eingehen: „Prorussische Stimmen werfen dem Westen etwa Kriegstreiberei vor, obwohl der Krieg von Russland ausgeht.“ Faktisch ist es so, dass jeder ein Kriegstreiber sein kann, man muss keinen Krieg vom Zaun brechen um ihn voranzutreiben. Ein einfaches Beispiel: Vladimir greift Vitali an. Vladimir ist der
Aggressor und Vitali verteidigt sich, die Vorgeschichte spielt bei dieser Betrachtung keine Rolle. Nun werfe ich Vitali ein Messer zu, Vladimir zieht auch ein Messer, beide stechen aufeinander ein. Ich bin in diesem Beispiel der Kriegstreiber, obwohl ich nicht der Initiator der Aggression bin. So zu tun, als könne nur der Aggressor ein Kriegstreiber sein ist unehrlich und am Ende des Tages auch nur Propaganda entsprechend der momentanen politischen lokalen Lage.
Ich bleibe bei meiner Einschätzung: Der ÖRR muss sterben, damit unsere Demokratie leben kann.