Wer eine Familie gründet, nimmt sich selbst gewissermaßen zurück. Nicht nur, dass du Kompromisse schließen musst mit dem Menschen, mit welchem du dein Leben verbringst und Kinder bekommst – denn egal wie stark die Liebe ist, eine Partnerschaft verlangt auch immer Zugeständnisse zueinander und die Akzeptanz mancher Dinge, die dich nicht begeistern, die dein Partner aber nun einmal an sich hat (ob Charakterzüge, die dir unsympathisch sind oder auch eine Schwiegermutter, mit der du nicht zurecht kommst). Du übernimmst auch die Verantwortung für das Wohlergehen der Kinder, die du in die Welt setzt und sagst „Ja“ zu einer Aufgabe, die dich emotional für immer verändert – die Angst, dass deinen Kindern etwas passieren könnte und du es nicht schaffst, sie zu beschützen, beginnt in der Schwangerschaft und endet erst, wenn du stirbst, so die weise Aussage einer Hebamme, die ich mal aufgeschnappt und in mein Herz geschlossen habe. Insbesondere während der Kindheit deiner Kinder prägt diese Aufgabe dein Leben. Zumindest ist das bei mir so, und ich hab nicht jede einzelne Mutter und jeden einzelnen Vater, die oder den ich kenne, gefragt, ob das bei ihr und bei ihm auch so ist, aber ich habe den Eindruck, dass sie das bestätigen würden.
Aber gerade hier – dass man als Mutter oder Vater eine ganz besondere Verantwortung gegenüber seinen eigenen Kindern hat, die es auch mitbringt, dass man eventuell auf etwas verzichten muss – scheinen sich Nathalie Klüver und ich total uneinig zu sein. So verstehe ich ihre Forderung danach, dass kleine Kinder mit jedem Leben vereinbar sein müssen, egal wie wenig Platz darin eigentlich für ein kleines Kind ist. Es scheint mir, als wünsche sie sich für Menschen – und ganz besonders für Frauen – dass sie einfach alles und wenn sie wollen auch gleichzeitig machen können. Sie sollen gleichzeitig kleine Kinder haben und eine steile Karriere machen können, ohne in eines von beidem besonders viel Zeit zu investieren, zu diesem Zweck wünscht sich Frau Klüver mehr Teilzeitstellen bei den Führungspositionen und natürlich mehr Kinderbetreuung zu jeder Zeit. Sie sollen die gesellschaftliche Anerkennung dafür bekommen, dass sie eine Mutter sind, ganz unabhängig davon, ob und wie viel sie sich selbst um ihre Kinder kümmern. Nur so kann ich Frau Klüvers Forderung interpretieren, dass Mütter kleiner Kinder die wichtigsten Positionen eines Staates besetzen dürfen, ohne dass jemand danach fragt, wie sie das denn mit ihrer Rolle als Mutter vereinbaren können.
Ein Ministeramt ist mehr als ein persönlicher Karriereschritt: Je höher der Posten, umso höher die Verantwortung
Was mir hier fehlt, ist ein Bewusstsein für Verantwortung – nicht nur dem Kind gegenüber, sondern auch den Aufgaben, die du hast, wenn du in einer wichtigen Führungsposition in der Wirtschaft oder gar ein Staatsoberhaupt oder eine Ministerin bist. Du kannst doch kein Kind in die Welt setzen und zugleich auf nichts verzichten und alles genauso machen können wollen wie eine kinderlose Person. Damit wirst du doch deinem Kind nicht gerecht.
Genauso ist der Posten eines Staatsoberhaupts oder eines Bundesministers doch kein individueller Karriereschritt, der sich in deinem Lebenslauf gut macht – er bedeutet allerhöchste Verantwortung für Millionen von Menschen und für den Lauf der Geschichte. Da muss man mit den Gedanken voll bei der Sache sein, und das schaffst du doch niemals, wenn du ein oder gar mehrere kleine Kinder hast.
Nathalie Klüver kritisiert es, dass wir als Gesellschaft von den Politikern verlangen, dass das Privatleben dem Beruf unterzuordnen ist. Von einem Lokalpolitiker, der zum Beispiel im Stadtrat sitzt, verlange ich das natürlich nicht, und nicht einmal wenn jemand im Bundestag sitzt, muss er meiner Meinung nach sein ganzes Leben der Politik widmen. Das Amt des Staatsoberhauptes oder des Bundesministers aber ist etwas anderes – ja, da verlange ich, dass diese Person ihr Privatleben zum Wohl des Volkes hinten anstellt. Diese Posten sind einfach zu wichtig, als dass man sie mit einem normalen Beruf vergleichen könnte. Dafür bekommen sie ja auch jede Menge Geld, alle möglichen Privilegien der Welt und gehen in die Geschichtsbücher ein.
Ich habe schon einmal öffentlich über dieses Thema geschrieben, im Editorial des Brennessel Magazins Ausgabe Mai 2022, ein Lokalmagazin hier in meiner Heimatstadt, als Anne Spiegel zurückgetreten ist. Damals habe ich alle meine Gedanken dazu schon so formuliert, wie ich es auch heute tun würde, also würde ich meinen Text einfach mal komplett zitieren:
„Wie viel Verantwortung kann ein Mensch übernehmen oder: Sollten junge Eltern wirklich Ministerposten besetzen?
Als Anne Spiegel kürzlich zurückgetreten ist, sahen viele darin einen Angriff auf den Feminismus. Alte Männer wie Friedrich Merz hatten den Rücktritt einer jungen Frau gefordert und waren damit erfolgreich. Ein Rückschritt, ein Sieg für die frauenfeindlichen Konservativen, die die Frau am liebsten wieder am Herd sehen würden. Und eines möchte ich Ihnen sagen, liebe Leser: Andreas Scheuer hätte sowas von zurücktreten müssen, ebenso wie Heiko Maas.
Aber ich möchte heute etwas Anderes thematisieren, was für mich in der Debatte komplett untergeht: Der Posten eines Bundesministers ist verbunden mit einer riesigen Verantwortung gegenüber der gesamten Gesellschaft Deutschlands. Jeder Minister schwört beim Amtseid, seine Kraft dem „Wohle des deutschen Volkes“ zu widmen und „Schaden von ihm zu wenden“.
Ich erwarte von einem Bundesminister, dass er sich während seiner Amtszeit als Privatperson weitgehend zurücknimmt und sich vollkommen in den Dienst der deutschen Gesellschaft stellt. Natürlich darf auch ein Minister mal sonntags frei haben, ausschlafen oder ein paar Tage Urlaub machen. Aber das reicht dann auch schon wieder, schließlich gibt es, egal in welchem Ressort, genug zu tun, die Bürger haben Anliegen, es gibt Missstände zu beseitigen und Lebensbedingungen zu verbessern. In vier Jahren ist dann wieder jemand anders dran und man kann wieder durchatmen.
Eine junge Mutter oder ein junger Vater – damit meine ich Eltern von Kindern, die sich noch nicht komplett um sich selbst kümmern können – können sich nicht vollkommen in den Dienst der deutschen Gesellschaft stellen, denn sie tragen die Verantwortung für ihre Kinder. Sie müssen sie versorgen (materiell und emotional), sie erziehen, ihnen Werte vermitteln, dafür sorgen, dass es ihnen körperlich und psychisch gut geht und sie zu glücklichen, gesunden, selbst- und verantwortungsbewussten Erwachsenen heranwachsen. Fast alle Eltern müssen diese intensive Aufgabe mit beruflichen und auch weiteren Verpflichtungen vereinbaren, je nach Lebenssituation kann es auch sehr schwer sein. Aber die Bekleidung eines Bundesministeramts ist halt noch mal sehr viel mehr als nur ein Beruf.
Eine Mutter oder ein Vater, die oder der ein so hohes öffentliches Amt übernimmt, entscheidet sich gegen ihre oder seine Kinder, sofern er oder sie den Posten wirklich ernst nimmt und sich tatsächlich voll und ganz der wichtigen gesellschaftlichen Aufgabe widmet. Kann man machen, wenn man dazu bereit ist und es Menschen gibt, die stattdessen die Kindererziehung übernehmen. Als betreffendes Kind fände ich das wirklich blöd. Aber als Bürgerin hätte ich vor einer solchen Entscheidung (die das Mutter-Kind- oder das Vater-Kind-Verhältnis sicherlich nachhaltig beeinflusst) Respekt.
In der Realität kann ich mir aber nicht vorstellen, dass das klappt, schließlich liebt man seine Kinder ja auch und sehnt sich nach Zeit mit ihnen. Am Ende ist da eine Mutter oder ein Vater, die oder der kaum Zeit hat für die eigenen Kinder und darunter leidet. Und ein (weiblicher oder männlicher) Minister, der seine wichtigen Aufgaben nicht mit der nötigen Intensität bearbeitet.
Mütter und Väter kleiner Kinder, die politisch tätig sein möchten, können in Teil- oder Vollzeit in einem Ministerium arbeiten. Es gibt doch Stellen dort. Für das höchste Amt des Bundesministers gäbe es aber genug andere Menschen: Menschen, die keine Kinder wollen zum Beispiel. Oder die erst später welche wollen, nach der Zeit auf dem Ministerposten. Oder Menschen, deren Kinder schon erwachsen sind. Die haben die Kapazitäten, um das Amt so zeit- und energieintensiv zu führen, wie sie es uns Bürgern schuldig sind„.
Kristina Schröder empfinde ich als besseres Vorbild als Anne Spiegel oder Annalena Baerbock
Ich finde es also überhaupt nicht toll, dass die finnische Ministerpräsidentin Sanna Marin ihren Posten angetreten ist, als ihr Kind ein Jahr alt war (das Beispiel kommt aus Nathalie Klüvers Buch). Wenn ich daran denke, wie es war, einjährige Kinder zu haben – damals hatte ich persönlich nicht einmal die Zeit oder den emotionalen Freiraum dazu, mich über das politische Geschehen zu informieren! Wie soll ich da einen Staat führen, es sei denn natürlich, ich trete meine Verantwortung als Mutter ab und löse mich emotional so sehr von dem Kind, dass ich einen freien Kopf für die inneren und äußeren Angelegenheiten meines Landes habe.
Und dieselbe Einstellung hab ich auch gegenüber Annalena Baerbock und Anne Spiegel. Und natürlich auch gegenüber Sigmar Gabriel, der als Minister kleine Kinder hatte. Dass wir die Frage nach den Kindern nur bei Frauen stellen, nicht aber bei Männern, hat wohl damit zu tun, dass wir Männer schon so lange von der Verantwortung, sich um ihre Kinder zu kümmern, befreien, dass es zur Selbstverständlichkeit geworden ist, dass sie es nicht tun. So wie in Frankreich die die ganze Kindheit umfassende Fremdbetreuung vielleicht: Man stellt nichts mehr in Frage, woran man sich gewöhnt hat. Mehr Respekt hatte ich vor Kristina Schröder, die im Jahr 2013 zugegeben hat, dass sich das Amt eines Bundesministers nicht wirklich damit vereinbaren lässt, ein kleines Kind zu haben, und politisch kürzer getreten ist, weil sie laut eigener Aussage darunter gelitten hat, ihre Tochter zu wenig zu sehen und wichtige Momente zu verpassen.
Und ich finde es gut, dass unsere letzten drei Kanzler Scholz, Merkel und Schröder kinderlos waren, auch wenn ich die Politik aller drei Kanzler überwiegend nicht gutheiße.
Vielleicht kann man die Interessen von Familien auch anders in der Politik geltend machen
Dass die Belange von Eltern dadurch, dass die Politik von Kinderlosen gemacht wird, nicht beachtet werden, ist durchaus ein Argument von Frau Klüver, das man anerkennen muss. Das kann natürlich ein Problem sein. Aber ich denke nicht, dass wir es dadurch lösen können, dass wir lauter Menschen mit kleinen Kindern in die höchsten Positionen unseres Landes holen, denn die haben keinen Kopf dafür. Und wenn doch, dann haben sie die tatsächliche und emotionale Verantwortung für ihre Kinder so weit in fremde Hände gegeben, dass sie die Wünsche und Probleme ganz normaler Eltern kaum noch nachempfinden können. Anders kann ich es mir einfach nicht vorstellen.
Wie kann man es dann lösen? Vielleicht durch mehr direktdemokratische Elemente in unserer Politik, vor allem Volksabstimmungen. Dann hätten wir zum Beispiel darüber abstimmen können, ob ein Betreuungsgeld eine gute Idee ist, oder das Geld tatsächlich woanders besser angelegt ist, wie es diejenigen behaupten, die es nicht brauchen. Oder indem man sich als Politiker ganz generell dem normalen Volk annähert, Kontakt und echten Austausch sucht und auf diese Weise von Eltern, deren Kinder tatsächlich ihren Alltag bestimmen, erreicht werden kann. Ein empathischer kinderloser Mensch versteht die Anliegen, ohne selbst Kinder zu haben, und er wird ja unter seinen Mitarbeitern, Verwandten und Freunden Eltern mit Kindern haben. Bloß sehe ich in unserer Politik auf Bundesebene gegenwärtig leider kaum empathische Menschen. Und dann gibt es ja auch noch Menschen, deren Kinder schon erwachsen sind und die Verantwortung für ihr Leben bereits in die eigenen Hände genommen haben, die haben sicherlich viel mehr Zeit und auch einen freieren Kopf, um für das Amt des Staatsoberhaupts oder Bundesministers geeignet zu sein.
Stillen im Parlament: Wirst du so deinem Kind und deinem Amt gerecht? Ich glaube nicht.
Eine kinderfreundliche Gesellschaft sollte meiner Meinung nach akzeptieren, dass es Dinge gibt, die einfach nicht vereinbar sind. Ein einzelner Mensch kann nicht alles gleichzeitig machen, und während Nathalie Klüver davon schwärmt, wie eine australische Politikerin während einer Rede im Parlament ihr Kind stillte (S. 73), finde ich das höchst fragwürdig. Stillen heißt doch nicht, das Baby an den Milchautomat anzuschließen und sich anderen Dingen zu widmen. Stillen beinhaltet doch streicheln, lächeln, dem Kind zärtliche Worte zusprechen. So fühlt es sich gesehen und baut Bindung und Urvertrauen auf. Und wenn ein Kind an deiner Brust hängt, es mal ziept oder du die Brust wechseln musst, das Kind zwischendurch mal quengelt oder sich verschluckt, kannst du dich doch nicht gleichzeitig auf den Inhalt einer politischen Rede konzentrieren, was deine Kollegen und das Volk aber zurecht von dir verlangen dürfen, wenn du im Parlament sitzt.
Gerade wenn es ums Stillen geht, das wichtigste Element im Leben eines Säuglings, sollten Mutter und Kind ganz beieinander sein. Und das hier soll keine Kritik gegenüber nicht-stillenden Müttern sein. Wird ein Baby nicht gestillt, dann ist eben das liebevolle Fläschchen-Geben das wichtigste Element in seinem Leben.
Und gerade wenn es um Politik für ein Volk geht, muss man von den Politikern verlangen dürfen, dass sie ganz bei der Sache sind. Für mich ist es ein Unding, dass unsere Politiker während Bundestagsdebatten am Handy rumspielen dürfen. Das Baby zu stillen ist da wohl mindestens genauso unangebracht.
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