Mann spielt Gitarre

Für das Problem, dass die Ganztagsklasse den Kindern die Freizeit wegnimmt, hat Nathalie Klüver eine Lösung, die zugleich auch ein anderes Problem lösen soll. Ein Problem, das auch ich sehe und das gelöst gehört. Aber meiner Meinung nach nicht so, wie Frau Klüver es vorschlägt.

Das Problem: Wegen Armut können sich viele Kinder kein Hobby leisten

Viele Kinder haben nicht die Möglichkeit, ein Instrument zu lernen, in einen Sportverein zu gehen oder ein vergleichbares Hobby auszuüben, weil ihre Eltern sich den Unterricht nicht leisten können. Richtig, das ist eigentlich inakzeptabel, und Nathalie Klüver kritisiert zurecht scharf das staatliche Bildungs- und Teilhabepaket, das Grundsicherung erhaltenden Familien 15,00 Euro pro Monat für Musik- oder Sportunterricht erstattet. Das ist wirklich lächerlich, denn ja, Frau Klüver hat vollkommen recht, Musikunterricht kostet 50 bis 100 Euro und wer sich das nicht leisten kann, kann es auch dann nicht, wenn 15,00 Euro davon übernommen werden. Die Mitgliedschaft in einem Sportverein kann man davon aber eventuell bezahlen, immerhin.

Ich habe viele Jahre in einer Hochhaussiedlung gelebt und mehr als einmal haben mich Kinder aus meiner Nachbarschaft schon gefragt, die viel denn der Unterricht in unserer Musikschule kostet. Wenn ich ihnen dann den Preis nannte, bekamen sie große Augen: „So viel können meine Eltern nicht ausgeben!

Ich hasse es, dass es so ist. Es gibt so viele interessierte und aufgeweckte, talentierte Kinder, die ihre Talente nicht entfalten können, weil das Geld fehlt, und auch wenn Kinder nur deshalb ein Hobby ausüben können, weil die Eltern mit Mühe und Not das Geld dafür zusammenkratzen, ist das einfach nicht in Ordnung.

Verlagern sich Musikschulen und Sportvereine in die Schule, so entfernen wir Kinder aus der Öffentlichkeit und nehmen ihnen ein großes Stück Privatleben und Individualität weg

Trotzdem gefällt mir Nathalie Klüvers Vorschlag nicht, die musikalischen, sportlichen und sonstigen Angebote einfach in die Schulen zu holen, denn das verschult die Freizeit, schränkt die Individualität ein und entfernt die Kinder noch mehr aus dem öffentlichen Leben.

Wie erwähnt, arbeite ich in genau diesem Bereich, im Instrumentalunterricht. Bei mir sitzen Freunde im Unterricht, die ihr Instrument gemeinsam lernen. Einer ist vom Gymnasium, der andere von der Hauptschule. Der Unterricht bei mir und ihr Fußballverein fördern die Freundschaft über die schulischen Grenzen hinweg. Ich habe im Unterricht auch Mütter und Großmütter, welche mit ihren Kindern oder Enkeln zusammen ein Instrument lernen, sowie Geschwister mit kleinem, aber auch größerem Altersunterschied. Bei mir kommen Erstklässler nach Rentnerinnen zum Unterricht und halten Smalltalk miteinander, und dann fragen die Kleinen mich: „Lernen Omas etwa auch Instrumente??“ Ja, tun sie, ebenso wie viele andere Erwachsene jeden Alters. Vielleicht ist das neu für Nathalie Klüver, dass Musikschulen und Sportvereine gar nicht nur für Kinder sind, sondern für alle Menschen. Dann bitte ich darum, das zur Kenntnis zu nehmen.

Auch ich gehe zusammen mit meinen Kindern in den Sportverein, das ist unser gemeinsames Ding, dort trainieren Vorschulkinder, Grundschulkinder, Jugendliche und Erwachsene zusammen. Manchmal sind die Jugendlichen genervt von der Quirligkeit meiner Kinder, manchmal helfen sie ihnen liebevoll dabei, ihren Gurt zu binden oder zeigen ihnen die richtigen Bewegungen.

Das ist doch das Leben, wo sich Menschen aller Altersklassen begegnen. Wenn Kinder ihre Hobbys und Interessen in der Schule nur noch mit weitgehend Gleichaltrigen ausüben, verbannen wir sie noch mehr aus dem öffentlichen Leben und trennen sie von der Welt der Erwachsenen, aber auch von der Welt der jüngeren oder älteren Kinder. Ich will das nicht, das ist mir unheimlich und es geht damit etwas verloren.

Außerdem waren für mich als Kind und als Jugendliche meine Hobbys meine persönliche Angelegenheit, die ich alleine oder mit meinen besten Freunden gemacht hab, aber die anderen aus der Schule ging es nichts an. Es muss nicht jeder aus der Schule wissen, was du machst, Freizeit und Hobbys sollten privat bleiben dürfen.

Frau Klüver argumentiert auch, dass ein Hereinholen der Hobbys in die Schulen die Eltern entlasten würde, weil sie sich dann nicht mehr darum kümmern müssen, ihre Kinder zum Unterricht zu bringen. Womöglich spricht sie einigen Eltern aus der Seele, das sehe ich ein. Mir aber nicht. Ich genieße es, mit meinen Kindern zusammen Sport zu machen, und wenn sie ein Hobby ohne mich anfangen, dann ist es für mich eine selbstverständliche elterliche Pflicht, dafür zu sorgen, dass sie dort hinkommen. Das ist für mich keine Belastung, sondern ich mache das gerne, weil ich gerne mit meinen Kindern zusammen bin und mich auf diese Aufgaben gefreut hab, als ich die Entscheidung getroffen hab, Mutter zu werden. Kinder jenseits des Grundschulalters, manchmal sogar schon Viertklässler, können außerdem oft schon alleine zum Unterricht kommen und damit Selbstständigkeit üben, sie können ihr Hobby kombinieren mit einem Stadtbummel, einer kleinen Radtour oder einer Verabredung und all diese Sachen, die zum echten Leben gehören, fallen weg, wenn alles verschult wird.

Musikschulen und Sportvereine lieber staatlich stark bezuschussen, sodass sie den Menschen erschwingliche Preise bieten können

Ich würde Musikschulen, Sportvereine und alles, was Kinder noch so machen, eher staatlich oder städtisch bezuschussen, damit der Unterricht deutlich günstiger sein kann. Teilweise geschieht das ja schon, so können Stadtkapellen günstigeren Unterricht anbieten als rein private Musikschulen. Ich wäre dafür, das deutlich auszuweiten, also höhere Zuschüsse und für alle Musikschulen. Berücksichtigt man dann noch, dass Unterricht in der Zweiergruppe deutlich günstiger ist als Einzelunterricht und auch ein halber Vertrag, also 14tägiger Unterricht, möglich ist, sollte letztendlich jedes Kind und jeder Erwachsene es sich leisten können, Sport zu machen oder ein Instrument zu lernen.

Außerdem gibt es ja schon Angebote an und von Schulen. Es gibt Sportarten und Musikunterricht als Wahlfach und manche Schulen haben sogar einen Musikzweig, in dessen Rahmen sie dann mit örtlichen Musikschulen kooperieren, da gehen die Kinder dann nachmittags hin und bekommen professionellen Instrumentalunterricht, der auch benotet wird und ins Zeugnis einfließt. Manchmal kommt der Musikschullehrer stattdessen auch in die Schule. Das ist ja eine tolle Sache. Wäre ich heute Schülerin, hätte ich sofort einen solchen Musikzweig genommen! Aber Hobby sollte halt auch Hobby bleiben und von der Schule unabhängig – und trotzdem erschwinglich – sein dürfen.

Eine letzte Anmerkung noch zu diesem Thema: In seinem Buch „Freiheit für alle“ schlägt Richard David Precht vor, Schulen nachmittags für kulturelle Angebote zur Verfügung zu stellen. Seiner Idee nach stehen die Schulen dann für alle Menschen offen, die etwas lernen möchten. Und das ist natürlich etwas ganz anderes und diese Idee befürworte ich! Vielleicht hat diese Idee das Potenzial, einen Kompromiss zwischen Frau Klüver und mir zu erreichen.

Beitragsbild von Ryan McGuire auf Pixabay

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